IKEM Individuell: Anna Bußmann-Welsch
Seit März 2020 arbeitet Anna Bußmann-Welsch als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Mobilitätsteam des IKEM und arbeitet dort in dem Projekt AMELIE an der Dekarbonisierung des Verkehrs. Im Interview haben wir die Juristin gefragt, welche Aussagen zum Thema Mobilität sie nicht mehr hören kann und was sie tun würde, wenn sie Verkehrsministerin wäre.
Wie würdest du deinen Großeltern erklären, woran du arbeitest?
Ich würde sagen, ich arbeite daran, wie Güter klimafreundlich und mit weniger Auswirkungen auf die Umwelt transportiert werden können und wie der elektrische LKW, auch europaweit, auf die Straßen kommt. Dabei geht es auch um die Frage, wie man den verbrauchten Strom am besten abrechnet, den Aufbau der Infrastruktur finanziert und was passiert, wenn ein Nutzer die Stromrechnung nicht bezahlt.
Ist denn ein europaweiter Aufbau realistisch und macht ein Aufbau nur in Deutschland überhaupt Sinn?
Ja, verschiedene Studien haben gezeigt, dass auch ein elektrisches Straßensystem, das nur in Deutschland aufgebaut wird, bereits eine sinnvolle Alternative darstellt und CO2-Emissionen erheblich mindern kann. Dies hängt natürlich auch davon ab, wie viele Lkw diese Technologie nutzen und welchen Anteil die erneuerbaren Energien am Strommix ausmachen. Auch eine europaweite Lösung ist denkbar. Wenn die erforderliche Regulierung auf europäischer und nationaler Ebene und die anschließende Planung und Errichtung zügig umgesetzt werden, kann der Güterschwerverkehr bis 2030 sehr weitreichend dekarbonisiert werden.
Was war die bisher wichtigste Erkenntnis bei deiner Forschung am IKEM?
Ganz allgemein war es die Einsicht, wie groß der Anteil des Schwerlastverkehrs an den CO2-Emissionen des Verkehrs in Europa tatsächlich ist. Sie machen nämlich rund 25 Prozent aus. Wenn wir den Schwerverkehr dekarbonisieren, haben wir also schon einen großen Schritt geschafft! Damit verbunden hatte ich auch eine zweite Erkenntnis. Ich habe mich gefragt, weshalb man den Gütertransport nicht „einfach“ auf die Schiene verlegt. Dann habe ich recherchiert und gemerkt, dass das gar nicht so einfach ist, weil der Schienenverkehr schon ziemlich ausgelastet ist, und ein gleichzeitiger Ausbau von Güter- und Personenverkehr sehr lange dauern würde. Wir müssen also andere Lösungen finden, unter anderen eben die Elektrifizierung des Straßengüterverkehrs.
Welche Aussagen zum Thema Mobilität & Klimaschutz kannst du als Mobilitätsexpertin nicht mehr hören?
Hier fällt mir keine konkrete Aussage ein, sondern vielmehr das Narrativ, dass Klimaschutz auf individueller Ebene anfängt, was häufig in Diskussionen mitschwingt. Es ist ja grundsätzlich positiv, wenn Menschen sich über ihren Beitrag zum Klimaschutz, zum Beispiel im Bereich Ernährung oder Mobilität Gedanken machen. Meiner Meinung nach ist das aber eine Verschiebung der Verantwortlichkeit. Die Rolle der Struktur, der Politik und sozialer Fragen wird dadurch ausgeblendet. Es ist eine Frage der Rechtsgestaltung, des Systems, ob wir die Mobilitätswende schaffen.
Nehmen wir mal an, du wärst Verkehrsministerin. Was würdest du anders machen?
Ich würde Mobilität radikal umgestalten, weg vom Individualverkehr, hin zu günstigerem oder kostenlosem ÖPNV für alle, sowohl in der Stadt als auch auf dem Land. Vorbild könnte das Wiener Modell sein, dort kostet die Jahreskarte ein Euro pro Tag. Elektromobilität und Automatisierung würden dabei auch gefördert, jedoch nur als Ergänzung zum ÖPNV und immer mit Blick auf ihren Beitrag zum Klimaschutz.
In deiner Freizeit trainierst du in einem feministischen Kickboxverein. Was kann die eher männlich dominierte Energiebranche von deinem Verein lernen?
Die Branche könnte vor allem etwas von den aktuellen Klimaschutzbewegungen lernen. Der weit überwiegende Teil der Aktivist:innen bei Fridays for Future und anderer Klimastreiks ist weiblich. Auch die UN hat einen Gender Action Plan in Bereich Klima verabschiedet. Die Energiebranche sollte das Thema Geschlechtergerechtigkeit mehr in den Blick nehmen. Denn die Auswirkungen des Klimawandels zeigen sich insbesondere entlang bereits bestehender Diskriminierungen. Daher ist es wesentlich, dass Frauen an Klimaschutzmaßnahmen aktiv mitwirken.
Was wünschst du dir, auf Basis deiner Forschung, von der Politik?
Konkret auf das Projekt AMELIE bezogen, dass sie Rechtssicherheit schafft. Solange sie nicht gegeben ist, ist es riskant für Unternehmen und andere Akteure Investitionen zu tätigen. Auf nationaler und europäischer Ebene brauchen wir deshalb Regulierungen, mit denen wir unsere Emissionen entsprechend der Pariser Verträge senken können und die gleichzeitig Planungssicherheit schaffen. Im Rahmen von klimafreundlicheren Technologien, wie bei der Gewinnung von Rohstoffen für die Elektromobilität oder Produktion von Wasserstoff muss sichergestellt sein, dass keine Menschenrechte verletzt werden. Auch die Erschließung neuer Energiequellen darf nicht auf der Ausbeutung des globalen Südens aufbauen.
Verantwortung für unser Klima zu übernehmen bedeutet für mich…
… eigene Privilegien und die Rolle Deutschlands und Europas global gesehen zu reflektieren. Durch den Klimawandel werden Ungleichheiten und Diskriminierung noch verstärkt, denn die Folgen treffen in der Regel diejenigen, die sowieso schon benachteiligt sind.
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