Im Gespräch mit Giverny Knezevic

Interview: Fahren auf unseren Straßen bald Oberleitungskraftwagen?

Giverny Knezevic ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Mobilität des IKEM und erforscht im Rahmen des Projekts AMELIE II die Methoden zur Elektrifizierung des Schwerlastverkehrs. Im Interview erläutert sie, wie von Oberleitungen angetriebene Lastkraftwagen – Oberleitungs-LKW – zu Dekarbonisierungsstrategien beitragen können.

Was ist ein Oberleitungslastkraftwagen?

Giverny Knezevic: Der Bereich der Elektromobilität umfasst neben dem stationären Laden, z.B. über Ladepunkte, ebenso das dynamische Laden über Elektrische Straßensysteme. Darunter sind Straßenabschnitte zu verstehen, die eine elektrische Energieübertragung auf Fahrzeuge während der Fahrt ermöglichen. Zu den bisher erprobten Technologien gehören sowohl induktive als auch konduktive Ladesysteme. Konduktives Laden kann dabei insbesondere über eine Oberleitung erfolgen. Ein Oberleitungs-LKW besitzt einen Stromabnehmer (der sogenannte Pantograf) auf dem Fahrerhaus und kann so über die Oberleitung elektrisch betrieben werden. Der LKW wird dann entweder zusätzlich über einen Diesel-Motor betrieben (Hybrid) oder fährt über eine Batterie rein elektrisch. Bei O-LKWs kann die Batterie dann viel kleiner ausfallen, was den Ressourcenbedarf verringert und mehr Laderaum ermöglicht. Außerdem können Stopps zum Laden an Ladepunkten vermieden werden.

Wie können Oberleitungsfahrzeuge zur Verringerung der Kohlenstoffemissionen beitragen?

Giverny Knezevic: Sowohl das Verkehrsaufkommen im Transportsektor als auch die dadurch ausgestoßenen Treibhausgasemissionen sind 2021 über den Stand von 2019 gestiegen. Der Transportsektor wird stark von LKW mit über 70% Anteil an der Transportleistung dominiert. Um den Güterverkehr „klimafit“ zu machen, sollte zunächst versucht werden, lange Transportwege mit Schwerlast-LKW zu vermeiden. Nächste Priorität sollte die Verlagerung auf die Schiene haben. Allerdings ist das kurz- und mittelfristige Verlagerungspotenzial zur Schiene stark begrenzt. Hier kommt die Elektrifizierung des Güterstraßenverkehrs ins Spiel. Die seit über zehn Jahren entwickelte und bereits in mehreren deutschen und internationalen Projekten erprobte Energieversorgung schwerer LKW durch Oberleitungssysteme hat sich als effizient und einsatzbereit erwiesen. Der Güterschwerlastverkehr kann durch diese Technologie schnell und verhältnismäßig günstig dekarbonisiert werden.

Was sind die Hindernisse für die großflächige Einführung von Oberleitungs-LKWs?

Giverny Knezevic: Gemäß dem „Gesamtkonzept klimafreundliche Nutzfahrzeuge“ der Bundesregierung sollen in den nächsten Jahren Technologie-Pfadentscheidungen zur Dekarbonisierung des Güterschwerverkehrs getroffen werden. Diese Entscheidung ist elementar für den großflächigen Markthochlauf in Deutschland. Weiterhin bedarf die Technologie mehr Akzeptanz. Als ich angefangen habe, am Projekt AMELIE II zu arbeiten, war ich auch eher skeptisch gegenüber der Technologie eingestellt. Je mehr ich jedoch in die Thematik eingestiegen bin, desto mehr verfestigte sich die Überzeugung, dass diese Technologie die beste Chance ist, um den Güterverkehrssektor schnell klimafreundlich zu gestalten.

Wie versucht IKEM, die Bedingungen für den Einsatz von Oberleitungsfahrzeugen zu verbessern? Welchen Beitrag leistet die kürzlich veröffentlichte IKEM-Studie zu diesen Bemühungen?

Giverny Knezevic: In der Studie legen wir u.a. dar, wie der Betrieb einer solchen Oberleitung konkret aussehen könnte. Wir stellen uns die Frage welche Akteure beteiligt sind und in welcher Beziehung sie miteinander stehen. Daraus entstand ein detailliertes Modell, das Aussagen darüber trifft, wer die Oberleitung betreiben soll, welchem Akteur welche Aufgaben zukommen und welche Rechtsbeziehungen zwischen ihnen bestehen. Ein neuer Akteur ist dabei der Mobilitätsanbieter im Modell. Jeder Nutzer der Oberleitung soll einen eigenen Mobilitätsanbieter haben, der ihm Strom liefert. Wie bei „normalen“ Stromlieferanten, soll zwischen den Mobilitätsanbietern ein Wettbewerb bzgl. des Fahrstroms entstehen. Es ist wichtig sich auch vor dem Markthochlauf der Technologie solche Gedanken zu machen, damit z.B. die notwendigen Gesetzesanpassungen, Standards und Förderprogramme frühzeitig in die Wege geleitet werden können. Daneben organisieren wir regelmäßig Workshops zu verschiedenen Themen wie Abrechnung und Planung sowie europäische Formate, in denen wir mit anderen Expert:innen Fragestellungen zu Elektrischen Straßensystemen erörtern.

Wie sind die Aussichten für den deutschlandweiten/europaweiten/internationalen Einsatz von Oberleitungsfahrzeugen?

Giverny Knezevic: In den nächsten Jahren werden in Bayern und in Baden-Württemberg Teststrecken errichtet, die erstmals über längere Oberleitungsabschnitte verfügen. Diese gehören zu den sogenannten Innovationsclustern und sollen verschiedene Antriebstechnologien in ihrer Gesamtheit betrachten. Auf nationaler Ebene erfolgt laut der Regierungsstrategie in den nächsten 2 bis 3 Jahren die Pfadentscheidung, ob Oberleitungen deutschlandweit gebaut werden oder nicht. Deutschland trifft hier eine Vorreiterrolle. Bei einer positiven Entscheidung ist es wahrscheinlich, dass sich andere EU-Mitgliedsstaaten der Technologie anschließen werden. Wichtigster (kommender) Rechtsakt auf EU-Ebene ist die Alternative “Fuels Infrastructure Regulation”. Diese gibt vor, wie viele Ladepunkte, Wasserstofftankstellen etc. jedes EU-Land zu errichten hat. Für Elektrische Straßensysteme werden im neuen Vorschlag bisher noch keine konkreten Vorgaben gemacht. Dies könnte sich jedoch bei der nächsten Review-Runde ändern, sobald sich Deutschland entschieden hat. Außerdem ist es derzeit so, dass verschiedene elektrische Straßensystemtechnologien in den Ländern getestet werden. In Schweden wird etwa die Stromschiene getestet und auch Frankreich tendiert derzeit mehr zur Stromschiene. Allerdings schließen sich die Technologien nichts zwangsläufig gegenseitig aus. Jeder Ansatz ist für verschiedene Anwendungen neutral zu betrachten. Eine Pfadentscheidung ist noch in keinem EU-Land getroffen worden. Es bleibt auf jeden Fall spannend, was in den nächsten paar Jahren passiert.

 

 

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IKEM – Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.