Suffizienz oder Effizienz – Wie erreichen wir die Klimaziele?

Die Coronakrise zeigt, was weniger Verbrauch für gesellschaftliche Folgen hat, sagt Christian Noll (DENEFF). Er hält ein Plädoyer für Effizienz und räumt mit Kritik, die die Wirksamkeit solcher Maßnahmen anzweifelt, auf. Dr. Stefan Thomas (Wuppertal Institut für Institut) hält Effizienz zwar auch für unerlässlich, macht aber auch deutlich, dass der Suffizienzgedanke schon weiter verbreitet ist, als wir häufig denken. Er plädiert für die Kombination von beidem: damit könnten wir die Klimaziele nicht nur einfacher, sondern auch wesentlich schneller erreichen. 


Christian Noll
Christian Noll, Geschäftsführender Vorstand der Deutschen Unternehmensinitiative Energieeffizienz (DENEFF).

Energieeffizienz ist die Schlüsselfrage 

Christian Noll, DENEFF 

Alle Energiewendeszenarien bestätigen, dass eine klimafreundliche Energieversorgung nur gelingen kann, wenn der Energieverbrauch bis 2050 halbiert wird. Auch die Hoffnung auf grüne Gase wird nichts daran ändern, dass die günstigste, sicherste und sauberste Energie die ist, die nicht verbraucht wird.

Neben Effizienz lässt sich Energie auch durch Verzicht – oder akademischer: Suffizienz – sparen. Doch das hat Grenzen. Schon eine Raumtemperatur von 18 Grad empfinden viele Menschen als zu kalt – und auch diese muss noch effizient bereitgestellt werden. Von 10 Tonnen CO2-Austoß pro Bundesbürger runter auf eine klimafreundliche Tonne durch Verzicht? Davon bin selbst ich als autofreier Veganer weit entfernt.

Effizienz ist der Schlüssel, denn sie bedeutet, dieselbe Leistung mit weniger Verbrauch zu produzieren. Ein gutes Beispiel sind LED, die gegenüber Glühlampen 80 Prozent weniger Strom verbrauchen. Dank Effizienzstandards und -label sinkt der Stromverbrauch in den Haushalten – trotz mehr Technik. Auch der Stromverbrauch des Internets ist in den letzten Jahren stabil geblieben – obwohl die Nutzung gestiegen ist. Häuser, die durch niedrigen Wärmebedarf mehr Energie produzieren als sie selbst verbrauchen, sind heute technisch kein Problem mehr.

Dennoch postulieren radikale Wachstumskritiker aber Effekte, durch welche Effizienzsteigerungen mutmaßlich unterm Strich immer zu Mehrverbrauch führen würden, da eingespartes Geld in zusätzlichen Konsum fließe. Laut seriöser Untersuchungen betragen sogenannte Reboundeffekte jedoch höchstens 20 Prozent. Wo größere Effekte angenommen werden, werden munter Wohlstandseffekte, Umsetzungs- und Politikdefizite vermischt, die es in anderen Bereichen ebenso gibt.

Vor allem wer statt auf Effizienz und Erneuerbare auf Suffizienz setzen will, muss erklären, wie es gelingen soll, die Menschheit von freiwilligem Verzicht zu überzeugen oder diesen gar politisch zu erzwingen. Das Repertoire an brauchbaren Vorschlägen akzeptabler Suffizienzpolitiken ist sehr dünn. So gibt es die Idee, Energielabel von Fernsehgeräten oder Fahrzeugen stärker von deren Größe abhängig zu machen. Große Modelle würden schwerer in die A-Klasse gelangen. Und natürlich kann auch die Digitalisierung energiesparendes Verhalten unterstützen. Weitgehende Eingriffe in den individuellen Konsum werden politisch aber kaum durchsetzbar sein. Die Rationierung von Energie ist in liberalen Gesellschaften nicht vorstellbar.

Wir erleben derzeit durch die Coronakrise, wie Einschränkungen zu weniger Verbrauch führen – aber auch, was das für die Gesellschaft bedeutet. In der Klimakrise sollten wir daher zuvorderst auf die immer noch breit vorhandenen Energieeffizienzpotenziale setzen, um Einschränkungen zu vermeiden. Energieeffizienz ist als Konjunktur- und Jobmotor wichtiger denn je und hat positive Nebenwirkungen auf ein zuverlässiges Energie- und sogar Gesundheitssystem.

www.deneff.org


Stefan Thomas
Dr. Stefan Thomas, Leiter der Abteilung Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie.

Klimaneutral bis 2035? Nur mit Suffizienz ist das erreichbar 

Dr. Stefan Thomas, Wuppertal Institut 

2019 brachte einen Durchbruch für die Klimapolitik, denn Deutschland und die EU wollen nun bis 2050 klimaneutral werden. Dazu trägt das Ziel, 50 Prozent weniger Primärenergie zu verbrauchen, entscheidend bei. Szenarien zeigen: Das ist bis 2050 mit Energieeffizienz und Erneuerbaren Energien erreichbar, selbst bei moderatem Wachstum.

2019 brachte aber auch Fridays for Future und ihre Forderung, dass Deutschland schon 2035 klimaneutral sein soll, um seinen gerechten Beitrag zum 1,5-Grad-Ziel zu leisten. Ist das noch mit Effizienz und Erneuerbaren allein erreichbar? Das ist fraglich. Effizienz ist meist wirtschaftlich, wenn sie im Erneuerungszyklus umgesetzt wird. Bei Geräten und Autos sind das 15 Jahre, aber bei Maschinen und Anlagen oft 20 bis 30 und für die Gebäudehülle 40 bis 50 Jahre. Und selbst dann werden aufgrund der bekannten Hemmnisse nicht alle Gelegenheiten genutzt. 50 Prozent weniger Primärenergie schon bis 2035 nur mit Effizienz ist somit zwar von den Potenzialen her denkbar aber praktisch sehr schwierig.

Wie kann es dann gehen? Sollten wir die Erneuerbaren noch stärker ausbauen? Wenn es möglich wäre, wäre es immer noch teurer als Effizienz, weil mehr saisonale Speicherung für die Gebäudeheizung und mehr synthetische Kraftstoffe nötig werden, wenn wir bis 2035 weniger weit mit der Effizienz sind als wir es 2050 sein können.

Also bleibt nur, Effizienz mit Suffizienz zu verbinden. Suffizienz heißt nicht nur „kleiner und langsamer“ – was für die einen Befreiung von Zwängen, für andere Verzicht bedeutet – sondern oft einfach anders. Den Trend dazu gab es schon vor der Coronakrise: junge Leute erwerben eher ein Smartphone und E-Bike statt des Führerscheines, viele sind nun stolz auf leise Elektroautos statt schwere SUV, der Trend geht zu weniger oder gar keinem Fleisch. Die Coronakrise zeigt, was noch geht: Es ist Platz für zusätzliche Fahrradstreifen da und im Büro ist man nun stolz auf funktionierende Videokonferenztechnik, statt auf Dienstreisen mit dem Flugzeug. Aber Fahrradstreifen und Videokonferenztechnik zeigen auch: geänderte soziale Praktiken müssen ermöglicht werden. Eine Förderung und praktische Unterstützung für WG-taugliche Wohnungen und Generationenwohnhäuser sowie für Wohnungstausch kann das Wachstum der Pro-Kopf-Wohnfläche bremsen, das in den letzten zehn Jahren die Effizienzgewinne bei der Heizenergie aufgezehrt hat, und zudem Wohnungsnot in den Städten lindern.

Wir haben 45 Jahre Erfahrung mit der Energieeffizienzpolitik, die in der Ölpreiskrise von 1973 ihren Anfang nahm. Seither kam Suffizienz meist nur in Infokampagnen zum richtigen Heizen, Lüften und Kochen vor. Es wird Zeit, sie intelligenter und breiter zu fördern und zu fordern, am besten integriert mit der Energieeffizienz für jeden Sektor. Weder Suffizienz noch Effizienz allein werden ausreichen. Zusammen könnten sie den entscheidenden Beitrag für ein klimaneutrales Deutschland deutlich vor 2050 und ohne exorbitante Kosten liefern.

www.wupperinst.org

 

Kontakt

IKEM – Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.