Neue Impulse für die Schiene

Reaktivieren, digitalisieren, harmonisieren

Matthias Hartwig

Wie kann der Bahnverkehr zur Verkehrswende beitragen – und was steht einem schnellen Ausbau entgegen? Mit Matthias Hartwig, Leiter des Fachbereichs Mobilität, sprachen wir über notwendige Investitionen, die Reaktivierung stillgelegter Gleise und seine Wünsche für die Zukunft des Bahnverkehrs.

Welche Bedeutung hat der Bahnverkehr für den Klimaschutz?

Der Bahnverkehr sollte eine zentrale Rolle in der Verkehrswende spielen. Er bietet eine deutlich klimafreundlichere Alternative zu Auto und Flugzeug – sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr. Wenn wir unsere Klimaziele ernst nehmen, muss mehr Verkehr auf die Schiene verlagert werden. Steigender Verkehr bei gleichzeitig zunehmendem Erneuerungsbedarf zeigt aber deutlich die Grenzen des theoretisch hohen Potenzials des Bahnverkehrs für den Klimaschutz auf. Dieses Potenzial kann nur bei hoher Investitionsbereitschaft gehoben werden.

Wo liegen aktuell die größten Herausforderungen?

Die Bahn kann nur dann eine attraktive Alternative darstellen, wenn sie zuverlässig, flächendeckend und effizient funktioniert. Das setzt voraus, dass Angebot, Taktung und Pünktlichkeit verbessert werden. Die Umsetzung des „Deutschlandtakts“ ist hier ein wichtiger Schritt – gleichzeitig stößt dieses Projekt aber an die Grenzen der vorhandenen Infrastruktur. Übersehen wird zudem häufig, dass auch die Energie- und Verkehrswende selbst die Bahn vor neue Herausforderungen stellt. Beispielsweise sind Kohle und Autos als Transportgüter für den Schienengüterverkehr traditionell von hoher Bedeutung. Mit dem Niedergang dieser Transportmärkte müssen sich viele Akteure in diesem Sektor umorientieren.

Woher stammen diese Kapazitätsengpässe?

Obwohl die Verkehrspolitik ihren Fokus auf die Straße gelegt hatte, nahm der Schienenverkehr in den letzten Jahren deutlich zu: Zwischen 2013 und 2023 ist die Verkehrsleistung im Schienengüterverkehr in Deutschland um rund 20 % gestiegen, im Personenverkehr um ca. 16 %. Gleichzeitig wurde die Infrastruktur lange vernachlässigt und zahlreiche Strecken wurden stillgelegt. Diese Versäumnisse rächen sich nun, denn die heutige Infrastruktur ist vielerorts nicht auf weiteres Wachstum vorbereitet.

Die Bundesregierung stellt nun zusätzliche Mittel bereit. Wo sollten diese eingesetzt werden?

Wichtig ist, dass die Investitionen nicht nur in einzelne Großprojekte fließen. Natürlich können neue Hochgeschwindigkeitsstrecken sinnvoll sein – zentral sind aber eine flächendeckende Ertüchtigung des Netzes und die Stärkung des ländlichen Raums. Auch die Reaktivierung stillgelegter Strecken kann ein pragmatischer und wirkungsvoller Ansatz sein, um weitere Kapazitäten zu schaffen. Hierzu arbeiten wir auch in unserem neuen Projekt ReBa.

Worum geht es in diesem Projekt?

Derzeit fehlen vielerorts Abstell- und Zugbildungsgleise – ein Engpass, der das gesamte System und insbesondere den Güterverkehr beeinträchtigt. Im Projekt analysieren wir, wo Bedarfe bestehen, welche Anlagen reaktiviert werden können und welche rechtlichen, planerischen und finanziellen Rahmenbedingungen hierfür gelten. Ziel des Projekts ist es, der Politik und den Bahnunternehmen eine Entscheidungsgrundlage für die Reaktivierung von Infrastruktur zu liefern. Wir sehen darin eine geeignete Maßnahme, um den Schienengüterverkehr gezielt zu stärken.

Wo sehen Sie darüber hinaus Handlungsbedarf im Bahnsektor?

Wie überall ist auch die Digitalisierung ein zentrales Thema: Moderne Zugsicherungssysteme wie das European Train Control System (ETCS) können die Kapazität des Netzes erhöhen und gleichzeitig die Sicherheit verbessern. Auch im Bereich der Fahrplan- und Betriebsplanung sehe ich große Potenziale.

Ein weiterer kritischer Punkt ist der grenzüberschreitende Verkehr. Unterschiedliche technische Standards, z. B. bei Stromsystemen oder Sicherungstechnik, erschweren einen reibungslosen internationalen Zugverkehr. Eine stärkere europäische Harmonisierung ist hier seit langem gefordert und war bereits Gegenstand zahlreicher Forschungsprojekte – zum Beispiel unser Projekt Streamline zur Straffung von Zulassungsverfahren. Im Sinne der europäischen Integration muss sich hier endlich etwas bewegen.

Was wünschen Sie sich persönlich für die Zukunft des Bahnverkehrs?

Ich wünsche mir, dass Bahnfahren in Zukunft für die Menschen selbstverständlich wird – egal ob in der Stadt oder auf dem Land. Gleichzeitig muss der Schienengüterverkehr in seiner Transformation unterstützt werden um Auto, Erz und Kohle durch neue Güter zu ersetzen. Dafür brauchen wir ein zuverlässiges, nutzerfreundliches, gut zugängliches und flächendeckendes Angebot. Wenn das gelingt, ist viel für den Klimaschutz gewonnen.

Kontakt

Ansprechpartner:in für Presseanfragen

IKEM – Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.

Projekt

VENUS

In VENUS untersucht das IKEM, wie der Verkehrssektor in einem erneuerbaren Stromsystem zur Stabilisierung der Netze beitragen kann.

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IKEM and EUETH will be hosting a series of side events at this year’s climate negotiations to discuss the energy-climate-defense nexus, the reconstruction of Ukraine’s energy system, and nature-based solutions for climate mitigation.